Eröffnungsrede zur Ausstellung
"Ich bin hier" in der HWK-Münster 7. Juni 2000

von Dr. Susanne Schulte (Gesellschaft zur Förderung der Westfälischen Kulturarbeit)

"... Um welche Realität, so fragen wir also wieder, handelt es sich denn nun "in Wirklichkeit" auf der Einladungskarte, die mit dem Medium der Fotografie Authentizität und Realismus behauptet, sie andererseits in einem Teil des Sujets zugleich aber zurücknimmt und durch das grafische Element des blauen Rundes bricht?

Diese Fragen führen ins Zentrum der Kunst Ulf Lebahns, und meine Gedanken demonstrieren einen Annäherungsprozeß, der sich in ähnlicher Weise auch bei den hier ausgestellten Arbeiten des Künstlers vollziehen könnte. ... wenn ich diesen Arbeiten ein "Etikett" in unserer labelsüchtigen Zeit anheften müsste, würde ich sie als absurd bezeichnen im besten und reflektiertesten Wortsinn. Das Absurde, so hat Albert Camus geschrieben, sei der Widerspruch zwischen dem Menschen, der fragt, wissen will, und der Welt, die vernunftwidrig schweigt, die Antworten verweigert. Normalerweise fragen wir nicht, sondern geben in unserm Alltag schon die Antworten und Eindeutigkeiten parat, bevor uns etwas seltsam und fremd werden kann, möglicherweise gerade, damit uns nichts seltsam wird und wir reibungslos funktionieren. Das nennen wir dann "Heimat". Diesen anheimelnden Alltag ver-rückt Ulf Lebahn in doppelter Weise. Zunächst einmal, indem er vertraute und ramschige, aber signifikante Gegenstände, Situationen oder Rollen ("Aufsichtführender" ist Titel einer Arbeit) des bürgerlichen Lebens überhaupt ausstellt, was man nicht tut, gehört das Zeugs doch eigentlich alles auf den Sperrmüll (wo es wahrscheinlich auch herkommt). Sodann aber ent-rückt er diese Gegenstände, Situationen oder Rollen durch die Beigabe seiner zweilichtigen, ambivalenter "Früchtchen" und "Schätzchen" in einen künstlerischen Kontext, der als ironische Kritik des Bürgerlichen Lebenszusammenhangs lesbar, mehr noch: erlebbar und erfahrbar wird. Denn Ulf Lebahn setzt nicht primär auf die theoretische Reflexion seiner Arbeiten durch die Betrachtenden, sondern er zielt direkt auf ihre leibliche Reaktion, Ich denke, wir alle spüren die Ambivalenz, die eine jede Installation ausstrahlt, "im Bauch": Wir sind zugleich angezogen und abgestoßen von dem, was sich uns, als sei's uns ganz vertrau, in der wohl bekannten Präsentationsform der Vitrinen etwa, zeigt. Ausstattungsramsch, konfrontiert mit undefinierbaren Skulpturen aus traditionellem, edlen Bildhauerstein. Hier stimmen die normalen Begriffe nicht mehr- was sich auch an der Tatsache, dass die Titel fast sämtlich als Metaphern zu bezeichnen sind, zeigt -; hier stimmen die vertrauten Wertungen nicht mehr - die Titel liefern das Ironiesignal. Doch diese Ironie ist hier nicht einfach die Umkehrung und damit die simple Negation des Normalen, sondern durch und durch Ambivalenz, Zweideutigkeit. Die anerkannten Grenzen, Wertungen, Begriffe, Kategorien sind in den Arbeiten Ulf Lebahns außer kraft und nicht durch neue ersetzt. Das ist auf die Welt überhaupt zu beziehen, nicht nur auf die bürgerliche, die als das uns nächste Beispiel fungiert, sehen wir hier doch existenzielle menschliche Situationen und Konstellationen. Und bei all dem dürfen wir erheitert schmunzeln und lachen. Dem absurden ist das Nur-Bedrohliche genommen. Der Künstler verweigert die eindeutigen Antworten, genauer: eine andere Antwort auf unsere Wirklichkeit als die seiner Kunstwerke und mir scheint, dass er sich beizeiten damit wohl auch selbst auf die Schippe nehmen könnte. Alles bleibt in der Schwebe, in Spannung. Alles steht hier in Frage. Ulf Lebahns Arbeiten erscheinen mir in erster Linie als Fragen an uns - und als unaufdringliche Aufforderung, das Absurde der Existenz, (das sie zuerst sichtbar machen) nicht nur heroisch nur auszuhalten und wie Sisyphos zu überwinden, sondern es als kesse Herausforderung und als Chance zur Freiheit zu begreifen, der Befreiung von alten untauglichen Grenzen, Kategorien, Begriffen, Konventionen, und der Freiheit zu einer ungesicherten - vielleicht: ironischen? - doch letztlich erfüllteren Existenz."

 

Westfälische Nachrichten vom 09.Juni 2000

Ulf Lebahns ganz andere Sicht der Dinge
"Ich bin hier" in der Handwerkskammer

von Ina Ludwig

"Wenn ich diesen Arbeiten ein Etikett anheften müsste, würde ich sie als absurd bezeichnen." Mit diesen Worten eröffnete Susanne Schulte, Geschäftsführerin der Gesellschaft zur Förderung der Westfälischen Kulturarbeit (GRK) am Mittwoch Ulf Lebahns Ausstellung in der Handwerkskammer. "Ich bin hier", heißt die Ausstellung. Warum - dazu äußerte sich der Künstler nicht. Mit einem Satz ließe sich das einfach nicht erklären.

Skurril sind die rund 80 Bildhauerarbeiten, Installationen und Grafiken des gelernter Steinmetzen und Steinbildhauers in der Tat. Seit 1997 ist Lebahn, Absolvent der münsterischen Kunstakademie, als freischaffender Künstler tätig. Motive und Inspiration findet Lebahn im alltäglichen Leben. Doch seine Kunst stellt keine naturalistische Kopie dar. Schulte: "Alles steht hier in Frage. Hier stimmen die vertrauten Werte nicht mehr." Durch seine Präsentation wolle er Fragen aufwerfen und Erkenntnisse ermöglichen.

Doch auch eine andere Einstellung reflektieren die Skulpturen des Künstlers: Humor ist ihm ganz wichtig. So bilden seine Werke eine ausgefeilte Symbiose von Ernst und Ironie. Auf eine ganz neue Art thematisiert Lebahn den Alltag. Besonders ausgefallen sind seine Kombinationen von Bebrauchsgegenständen und abstrakt geformten Steinobjekten.

Ungewöhnlich betitelt, etwa als "Baumele", "Früchtchen" oder "Das Drama der Nacht", sind alle Exponate. "Die Titel geben immer eine Richtung an", erläutert der Künstler. "Sie gehören auf jeden Fall zu den Arbeiten dazu". Über die Absurdität wolle er Freiheit schaffen, erklärt Lebahn.

 

Münstersche Zeitung vom 10.06.2000
"Ich bin hier" - Ulf Lebahn stellt in Handwerkskammer aus
(Vergnügliche Konfrontationen)

von Ursula Hecker
..."Ich bin hier" ist der Titel seiner Ausstellung in der Handwerkskammer. Ganz schön keck, wird da mancher Besucher sagen, die Provokation dieser drei Worte aber mit Vergnügen billigen. Denn Ulf Lebahn hat es gewissermaßen faustdick hinter den Ohren. Seine Arbeiten sind geprägt von einer Konfrontation, die gleichzeitig verwirrt, belustigt und neugierig macht. Ausgediente Gegenstände des Alltags wie eine alte Truhe, eine Baby-Tragetasche oder ein Nachtschränkchen werden auf ironische und absurde Weise ergänzt durch skurrile Steinskulpturen, die an Lebewesen erinnern, aber nicht eindeutig zu identifizieren sind, Es darf also gerätselt werden. Und dabei fühlt sich der Betrachter durchaus nicht aufs Glatteis geführt. Solche Kunst ist spannend und nacht einfach Spaß. Dr. Susanne Schulte von der Gesellschaft zur Förderung der Westfälischen Kulturarbeit wies dann bei ihrer Eröffnungsrede auch besonders auf das Augenzwinkern hin, mit dem der Künstler provoziert.

Zudem: Die Skulpturen aus Marmor und Sandstein sind wunderbar griffige Handschmeichler. Hier zeigt sich der Handwerksmeister Lebahn, der mit seinem vollendeten handwerklichen Können nicht hinter dem Berg hält...